Das Leben der Havasupai heute
Die Reservation der Havasupai-Indianer liegt in einem
Seitenarm des Grand Canyon im US-Bundestaat Arizona. Die
meisten der rund 650 Bewohner leben in dem Ort Supai, den man
nur über einen mehr als 13 km langen, ungefestigten Weg
erreichen kann. Der Wanderweg beginnt am Ende der »Indian
Route 18«, rund 100 km nördlich der Kleinstadt Seligman.
Der Name Havasupai bedeutet »Die Menschen vom blau-grünen
Wasser«. Damit ist der Havasu Creek gemeint, der an dieser
Stelle ein kleines Tal durchquert und nach wie vor die
Hauptwasserquelle für die hier lebenden Indianer darstellt.
Inmitten einer eher kargen Felslandschaft ist Supai der
einzige Platz in dieser Gegend, an dem man Ackerbau betreiben
kann. Zu den wichtigsten Pflanzen, die dort angebaut werden,
gehören Mais, Melonen, verschiedene Gemüsesorten und vor
allem Pfirsiche. In der jüngeren Vergangenheit wurde jedoch
die Anbaufläche für Obst und Gemüse auf Kosten der
Weidefläche zurückgedrängt.
Seit seiner Gründung war Supai nur zu Fuß oder mit Pferden
und Maultieren erreichbar. Bis heute hat sich daran nicht viel
geändert. Lediglich bei besonderen Transporten setzt man
heutzutage einen Hubschrauber ein.
Tourismus
Bei seinem Weg zum Colorado River bildet der Havasu Creek
unterhalb des Dorfes mehrere Wasserfälle. Wegen ihrer
Schönheit wurden diese Wasserfälle im Laufe der Zeit als
Ziel für Wanderer immer beliebter. Seit Beginn der 60er Jahre
entwickelte sich der Tourismus für die Havasupai immer mehr
zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Die dadurch entstandene
»Havasupai-Lodge«, das »Tribal Museum« und ein Fast-Food
Café, schaffen Arbeitsplätze für viele der hier lebenden
Indianer. Ergänzt wird das Angebot durch den Transportdienst
mit Pferden und Maultieren. Damit der Tourismus nicht die
gewohnten negativen Begleiterscheinungen mit sich bringt,
haben die Havasupai beschlossen, jährlich nicht mehr als
12.000 Besucher zuzulassen. Wie wichtig der Tourismus trotzdem
für die Indianer ist, zeigt ein Blick auf die Einnahmequellen
des Stammes: Rund die Hälfte aller Gelder werden durch die
Besucher erwirtschaftet.
Die sozialen Verhältnisse
Trotzdem ist die soziale Lage der Havasupai sehr angespannt.
Auf den meisten Indianer-Reservationen in den USA ist die
Arbeitslosenquote sehr hoch. Die Havasupai bilden da keine
Ausnahme; bei ihnen liegt die Rate bei 51%. Rund ein Drittel
aller Bewohner leben von der Sozialhilfe. Die Anpassung der
Havasupai-Indianer an die amerikanische Lebensweise begann
bereits mit der Einrichtung der Reservation. Heute findet man
eine Mischung aus traditioneller Lebensweise und dem
sogenannten »American way of life«. Spiritualität und
Fast-Food gehören zum Alltag der Bewohner von Supai. Auch die
Grundschule im Ort unterrichtet seit 20 Jahren zweisprachig,
nachdem in früheren Zeiten der Unterricht nur in englisch
abgehalten werden durfte.
Die Auswirkungen des Indian Reorganisation Act
Mit dem »Indian-Reorganization Act« von 1934 wurde bei den
Indianern in den USA per Gesetz das alte Häuptlingssystem
abgeschafft und durch eine »moderne« Regierung ersetzt. Auch
die Havasupai waren davon betroffen und haben seit dieser Zeit
einen gewählten Stammesrat (Tribal Council), der sich aus
sieben Mitgliedern zusammensetzt und die Richtlinien der
Reservationspolitik bestimmt. Daneben gibt es einen
Stammesratsvorsitzenden. Auch das Justizsystem hat sich
geändert. Im Jahre 1957 wurde nach westlichem Vorbild ein
Tribal Court eingerichtet. Allerdings spürt man hier sehr
deutlich den Unterschied zwischen der amerikanischen
Rechtsauffassung und der traditionellen Vorstellung von Recht
und Gesetz.
Religion
Die Spiritualität bei den Havasupai war seit jeher bestimmt
von dem Glauben, dass die Berge, die Erde und die Natur leben.
Sie sind die Kräfte, die die Menschen zum Überleben
brauchen. Diese naturverbundene Religion ist auch heute noch
zu finden und bestimmt nach wie vor das tägliche Leben der
Havasupai.
Geschichte
Die Havasupai gehören zur Gruppe der Pai-Indianer. Ihr
ursprüngliches Siedlungsgebiet umfasste das heutige
Coconino-Plateau und den nördlichen Teil des Grand Canyon.
Ihren Namen haben die Havasupai von ihren traditionellen
Behausungen, den »Havas« (kegelförmige Hütten aus
Unterholz). Nach heutigen Erkenntnissen leben die Havasupai
bereits seit rund 1.500 Jahren in dieser Gegend. Das erste Mal
schriftlich erwähnt wurden sie 1665. Allerdings gab es bis zu
Beginn des 20. Jahrhunderts keine nennenswerten Aufzeichnungen
über den Stamm.
Die Havasupai hatten bis 1848 kaum Kontakte zu Weißen gehabt.
Erst als Mexiko riesige Gebiete im heutigen Südwesten der USA
an die Amerikaner abtreten musste, änderte sich dies rasch.
Gold- und Silberfunde brachten immer mehr Eindringlinge in den
traditionelle Lebensraum der Havasupai und führten sehr bald
zu Konflikten mit der US-Armee. Auch mussten die Indianer mit
ansehen, wie immer mehr Siedler und Viehzüchter sich ihres
Landes bemächtigten. Die Havasupai waren ursprünglich Jäger
und Sammler. Zusätzlich betrieben sie Landwirtschaft in
einfacher Form. Als Halbnomaden zogen sie im Frühjahr in den
Canyon und bestellten ihre Felder. Nach der Ernte gingen sie
wieder in ihre Lager auf die Hochebene zurück. Der
traditionelle Lebensraum der Havasupai umfasste ein Gebiet von
etwa 17.500 qkm. Als 1880 durch die US-Regierung den Indianern
eine Reservation zugewiesen wurde, gab man ihnen lediglich
etwas mehr als 2 qkm. Dieser winzige Bruchteil des ehemaligen
Landes lag nur noch im Havasu Canyon selbst. Dadurch war es
den Indianern nicht mehr möglich, ihre bis dahin unabhängige
Lebensweise weiterhin führen zu können. Viele Havasupai
mussten sich außerhalb der Reservation eine Arbeit suchen.
Der Landstreit
Bereits kurze Zeit nach der Errichtung ihrer Reservation
setzten sich die Havasupai gegen diese unrechtmäßige
Landwegnahme zur Wehr. Allerdings dauerte es fast 90 Jahre,
ehe ihnen zumindest teilweise eine Art Wiedergutmachung zukam.
Durch den starken Druck vieler betroffener Indianervölker in
den USA richtete die Regierung in Washington 1946 die »Indian
Claims Commission« ein. Diese Kommission sollte die
Rechtmäßigkeit der Landansprüche der Ureinwohner gegenüber
den USA prüfen. Allerdings war dabei nicht an eine
Landrückgabe gedacht, sondern vielmehr nur an eine
finanzielle Entschädigung. Die Amerikaner wollten sich damit
ein für alle Mal eines unangenehmen Problems entledigen. Auch
die Havasupai wandten sich an dieses Gremium und hatten
Erfolg. Im Jahre 1969 erhielten sie von der US-Regierung eine
Entschädigung in Höhe von 1, 2 Mill. US Dollar (rund 2 Mill.
DM ). Bei der Entschädigungssumme orientierte sich Washington
am Wert des Landes bei der unrechtmäßigen Aneignung im Jahre
1880. Gleichzeitig waren – so das Gesetz – alle Ansprüche
der Havasupai auf dieses Land erloschen. Die Indianer gaben
sich jedoch mit dieser Entscheidung nicht zufrieden. In den
darauffolgenden Jahren kämpften sie um die Rückgabe weiteren
Landes. Mit in Kraft treten des »Grand Canyon Enlargement
Act« am 3. Januar 1975 erhielten die Havasupai ein Gebiet von
rund 740 qkm zurück. Dies ist die größte Landrückgabe die
es je an ein indigenes Volk in den USA gab. Darüber hinaus
sicherten sie sich die Nutzungsrechte für weitere knapp 400
qkm innerhalb des erweiterten »Grand Canyon National Park«.
Weiterhin konnten sie durchsetzen, dass sie ihre Zeremonien
auch auf spirituellen Plätzen außerhalb der jetzigen
Reservationsgrenzen ungehindert ausüben dürfen.
Uranabbau bei den Havasupai
Spätestens seit Ende des 2. Weltkrieges gewann Uran immer
mehr an Bedeutung. Neben der militärischen Nutzung entdeckte
man im Laufe der Zeit auch den zivilen Vorteil, vor allem bei
der Energiegewinnung. Auf dem Colorado Plateau begann die
Suche nach geeigneten Fundorten zu Beginn der 80er Jahre durch
die in Denver beheimatete Firma »Energy Fuels Nuclear«
(EFN). Bald waren mehr als 50.000 (!) sogenannter »Claims«
angemeldet. Diese Ansprüche auf staatliches Land zum Abbau
von Bodenschätzen erstreckten sich beiderseits des Grand
Canyon.
Das »Mining Law« und seine Folgen
In den Vereinigten Staaten ist der Abbau von Bodenschätzen
auf Grund eines Gesetzes aus dem Jahre 1872 besonders einfach.
Nach dem "Mining Law", welches eigentlich für
Goldgräber gedacht war, kann jeder öffentliches Land
beanspruchen, wenn er nachweisen kann, dass es dort abbaubare
Vorkommen an Mineralien gibt. Ausgenommen von dieser Regel
sind lediglich National Parks und ähnlich geschützte
Gebiete. Experten gehen davon aus, dass im Gebiet beiderseits
des Grand Canyon ungefähr 1.500 t Uran vorhanden sind. Bei
den geplanten Minen handelt es sich zwar durchweg um kleinere
Anlagen, allerdings haben die dortigen Erzvorkommen einen sehr
hohen Anteil an Uran (etwa 3 bis 10 mal höher als
gewöhnlich).
Die aktuelle Situation
Der »Run« auf dieses hochwertige Uranerz fand zu einer Zeit
statt, als der Preis dafür auf dem Weltmarkt noch sehr hoch
war. Mitte der 80er Jahre setzte jedoch ein Preissturz ein,
der allerdings nach Meinung von Fachleuten nur
vorrübergehender Natur sein sollte. Mit Ende des »Kalten
Krieges« aber brachten Staaten wie Russland und China
größere Mengen billigeres Uran auf den Markt und führten
einen weiteren Preisverfall herbei. Zur Zeit wird daher in den
USA weniger Uran abgebaut, der Verkaufserlös würde bei
vielen Minen noch nicht einmal die Unkosten decken. Dies ist
der einzige Grund, warum heute viele ehemalige Minen
geschlossen sind und geplante Neubauten von Anlagen zur
Gewinnung von Uran nicht umgesetzt werden. Auch die
Havasupai-Indianer sind vom Uranabbau betroffen. Die EFN
begann 1984 mit der Planung der sogenannten Canyon Mine. Die
Genehmigung dafür hatte die Firma bereits 1978 vom »National
Forest Service« erhalten. Diese Anlage befindet sich im
unmittelbaren Quellgebiet des Havasu Creeks, der die
Reservation der Havasupai mit Wasser versorgt.
Der Schacht der Mine ist bereits fertiggestellt und die
Gewinnung von Uranerz könnte jederzeit beginnen. Wegen der
niedrigen Weltmarktpreise ist jedoch dort bisher seitens der
EFN auf den Abbau von Uran verzichtet worden.
Das umzäunte Gebiet der Mine liegt zudem auf heiligem Gebiet
der Havasupai. Allerdings gehört diese Gegend um den für die
Indianer spirituell wichtigen »Red Butte« nicht zu dem
Territorium, welches ihnen durch den »Grand Canyon
Enlargement Act« 1975 zugesprochen worden ist. Somit konnte
der »National Forest Service« dem Unternehmen EFN gemäß
dem »Mining Law« von 1872 die Erlaubnis erteilen, dort Uran
abzubauen.
Der Widerstand gegen die Urangewinnung
Seit die Havasupai 1984 von den Plänen zum Abbau des
Uranerzes durch EFN erfahren haben, wehren sie sich dagegen.
Damals kamen Vertreter des Unternehmens zu den Havasupai und
wollten sie durch Geldzahlungen dazu bringen, ihren Widerstand
gegen die »Canyon Mine« aufzugeben. Die Havasupai sehen sich
als die vom Schöpfer beauftragten Hüter des Grand Canyon's
und haben ihrer Ansicht nach somit eine tiefe Verpflichtung
ihren Lebensraum zu schützen. Darüber hinaus wäre der »Red
Butte«, ein für die Havasupai spirituell wichtiger Berg, und
seine Umgebung von den Abbauaktivitäten betroffen. Aus diesem
Grunde lehnten sie das Angebot von EFN ab.
Im Juni 1988 reichten die Indianer Klage gegen den National
Forest Service ein, um die Mine zu stoppen. Dabei stützten
sie sich auf zwei wichtige Punkte: Nach Ansicht der Havasupai
verletzt der National Forest Service mit seiner Genehmigung
- das Recht auf freie Religionsausübung und
- verstößt gegen Umweltbestimmungen
Der amerikanische Kongress hatte bereits bei der
Ausarbeitung des »Grand Canyon Enlargement Act« die
besondere Bedeutung der spirituellen Orte und der Religion der
Havasupai hervorgehoben. Daher waren diese davon ausgegangen,
dass der Bau der Mine diesen Aussagen widerspräche und somit
gegen den 1. Zusatzartikel der Verfassung verstieße, der die
freie Religionsausübung als Grundrecht eines jeden Bürgers
festschreibt. Auch würde der »American Indian Religious
Freedom Act« von 1978 verletzt. Nach diesem Gesetz hat die
US-Regierung das Recht der Indianer auf freie
Religionsausübung zu schützen. Daneben führten die
Havasupai noch ein weiteres Gesetz an, welches bei der Vergabe
der Abbaurechte verletzt worden war. Hierbei handelt es ich um
den 1969 verabschiedeten »National Environmental Policy
Act«. Danach hat die Umweltschutzbehörde darauf zu achten,
dass Firmen die Umweltschutzbestimmungen einhalten. Die
Havasupai waren der Meinung, dass diese Behörde ihre Aufgabe
bei der Überwachung der Canyon Mine nur sehr mangelhaft
nachgekommen war.
Die »G-O Road Entscheidung«
Der vorsitzende Richter des zuständigen District Courts
jedoch sah dies anders und entschied gegen die Havasupai. Er
begründete seine Klageabweisung mit einem Urteil des Obersten
Gerichtshofes aus dem Jahre 1988, der sogenannten »G-O Road
Entscheidung«.
Dieses Urteil besagt, dass das Recht der US-Regierung auf die
Nutzung öffentlichen Landes absoluten Vorrang vor allen
anderen Ansprüchen habe und deshalb wichtiger sei als die
religiösen Interessen der Indianer. Damit genießen heilige
Stätten der Ureinwohner Nordamerikas keinen Schutz durch den
»First Amendment«. Ebenfalls war das Gericht der Ansicht,
dass die erforderliche Umweltverträglichkeitsstudie dem
»National Environmental Policy Act« entspreche und damit
ausreichend für die Genehmigung gewesen sei. Auch der
US-Supreme Court schloss sich dieser Meinung an und entschied
im März 1992 in letzter Instanz gegen die Havasupai. Trotzdem
geben die Indianer ihren Widerstand gegen die Mine nicht auf
und versuchen, über die Öffentlichkeit Druck auf die
Betreiber auszuüben.
Die Gefahren des Uranabbaus
Das Uranerz enthält neben dem eigentlichen Uran noch weitere,
giftige Stoffe und Schwermetalle. Die »Canyon Mine« soll in
Untertagebauweise betrieben werden. Dabei wird gefährliches
Radongas freigesetzt. Dieses krebsverursachende Gas bedroht
die in der Mine tätigen Arbeiter und verteilt sich aber auch
auf Grund seiner Konsistenz sehr leicht über weite Gebiete
und gefährdet so Unbeteiligte. Für die Havasupai ist jedoch
die Verseuchung des Grundwassers durch radioaktives Material
die größte Gefahr. Insbesondere der für sie so
lebenswichtige Havasu Creek wäre davon betroffen. Die
Gefahren radioaktiver Verseuchung können aber auch durch
Abraumhalden oder durch einen nie auszuschließenden Unfall
hervorgerufen werden. An entsprechenden Beispielen mangelt es
hierbei nicht. Vor allem die in der Nähe der Havasupai
lebenden Navajo haben da bereits bittere Erfahrungen machen
müssen. Der auf der Navajo-Reservation liegende Ort Tuba City
war in der Blütezeit des Uranabbaus das Zentrum dieser
Aktivitäten. Heute gibt es unter den Navajo unzählige Opfer
dieser »strahlenden« Arbeiten. Nicht umsonst trägt die
Bundesstraße, welche durch Tuba City führt, den Beinamen
»Cancer Alley« (Landstraße des Krebses). Auch heute noch
sind von den über 1.100 ehemaligen Uranminen auf der
Navajo-Reservation knapp die Hälfte nicht ausreichend
abgesichert, so dass noch immer Radongas ungehindert
ausströmt.
Auch die Betreiberfirma EFN kann da auf eigene Erfahrungen
zurückgreifen. Die Hack Canyon Mine, die nach Angaben von EFN
genauso sicher sein sollte wie die geplante Canyon Mine, wurde
1984 überschwemmt und mehrere Tonnen Uranerz rutschten in den
Colorado River.
Die Havasupai sind ein Beispiel für das bis heute vorhandene
Denken in den USA.. Regierungsstellen und Unternehmen setzen
sich über die berechtigten Sorgen und. Interessen der
Ureinwohner hinweg. Hier steht der Gewinn über dem Recht auf
Leben. und Gesundheit. Es wird Zeit, dass dieses
kolonialherrschaftliche Denken in unserer. aufgeschlossenen
Zeit endlich ein Ende findet. |